Auf dem Bild sind mehrere Personen in den roten Shirts der Initiative. Sie tragen die Kartons mit den Unterschriften beim Bundeshaus um diese zu deponieren. In einer roten Kachel steht "Volksinitiative" in einer schwarzen Box steht: " Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot"

 

Am 13. Februar 2022 wird die Stimmbevölkerung über die Initiative « Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot – Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt» abstimmen.

Die LSCV wurde 1883 in Genf gegründet. Gemäß Art. 2 ihrer Statuten strebt sie die vollständige Abschaffung der medizinischen, wissenschaftlichen oder kommerziellen Tierversuche an. Sie setzt sich dafür ein, in der gesamten Schweiz eine Gesetzgebung zu erreichen, die den Schutz und die Achtung der Rechte des Tieres garantiert, die ständige Verbesserung dieser Gesetzgebung zu ermöglichen und ihre strikte Anwendung ständig zu überwachen.

Die LSCV teilt daher die Ziele der Initiator*innen. Die LSCV ist überzeugt, dass eines Tages auf Tierversuche verzichtet werden kann, aber nur, wenn es Alternativen gibt. Denn diese Methoden sind für die menschliche Gesundheit effizienter und ethischer. Für die LSCV ist ein Verbot von Tierversuchen ohne eine echte Entwicklung von Alternativen, mit finanzieller Unterstützung, Anreizen oder der Ausbildung von Forscher*innen, nicht zielführend.

Alternative Methoden werden systematisch benachteiligt

Die Schweiz könnte hier eine Vorreiterrolle einnehmen und mit gutem Beispiel vorangehen. Stattdessen erhalten Tierversuche derzeit etwa 300-mal mehr finanzielle Unterstützung als alternative Methoden. Dies ist nicht hinnehmbar. Aufgrund des fehlenden politischen Willens scheint der Bundesrat nicht danach zu streben, Tierversuche zu ersetzen, sondern lediglich die Anzahl der durchgeführten Versuche und das von den Tieren erlittene Leid zu «reduzieren». Das NFP79 – Nationales Forschungsprogramm – gibt Hoffnung, aber die wenigen Millionen, die für das Projekt bereitgestellt werden, scheinen angesichts der Hunderten von Millionen Franken an öffentlichen Mitteln, die für die Forschung mit Tieren bereitgestellt werden, bei weitem nicht auszureichen[1].

 

In ähnlicher Weise unterstützt der Bundesrat seit 30 Jahren Strukturen wie die Forschungsstiftung 3R und das Kompetenzzentrum 3R, deren Ziel es ist, die Forschung mit Tieren zu ersetzen, zu reduzieren und zu reformieren. Anstatt jedoch alles daran zu setzen, Tiere wirklich zu ersetzen, zielen die meisten der unterstützten Projekte darauf ab, die Anzahl der Versuche und der verwendeten Tiere oder die zugefügten Belastungen zu «reduzieren». Auch hier ist der fehlende politische Wille – obwohl regelmäßig zahlreiche parlamentarische Vorlagen eingereicht werden, die mehr Unterstützung für alternative Methoden und weniger Leid für Tiere fordern – inakzeptabel.

 

Tierversuche sind in 95% der Fälle nicht effizient

 

Abgesehen von den ethischen Aspekten ist das Tier kein «gutes» Modell für die Forschung. Viele Expert*innen warnen vor den Problemen, die mit der Reproduzierbarkeit und Übertragbarkeit von Ergebnissen vom Tier auf den Menschen verbunden sind und die oft dazu führen, dass wenig erfolgversprechende Forschungen fortgesetzt werden. Laut mehreren wissenschaftlichen Studien[2] erweisen sich 95% der neuen Medikamente, die mit Hilfe von Tierversuchen entwickelt wurden, als ungeeignet für den Menschen. Auch der Mensch verdient etwas Besseres als Tierversuche. Dies wird vor allem durch die Entwicklung der Forschung mit Organoiden, Biochips und Computermodellen ermöglicht.

 

In den letzten 10 Jahren wurden spektakuläre Fortschritte im Bereich der alternativen Methoden erzielt, obwohl nur wenig Geld für ihre Entwicklung bereitgestellt wurde. Es ist höchste Zeit, dass sich diese Situation ändert, dass öffentliche Gelder eingesetzt werden, um die Ungerechtigkeit zu beenden, die Millionen von Tieren jedes Jahr widerfährt. Genau wie wir können auch Tiere Angst und Schmerz empfinden. Wir haben eine moralische Verpflichtung, alles zu tun, um Tiere in der Forschung zu ersetzen.

 

Dennoch wurden im Jahr 2020 in der Schweiz 556’000 Tiere für Versuche eingesetzt. Genau die gleiche Zahl wie im Jahr 2000[3]. Die Situation stagniert also oder verschlechtert sich sogar, da die Zahl der Versuche des Schweregrads 3, die für die Tiere am schmerzhaftesten und belastendsten sind, im Jahr 2020 um fast 8 % und seit 2012[4] um 68 % gestiegen ist . Die Anzahl der Tiere, die Versuche des Schweregrads 2 durchlaufen haben, hat sich hingegen zwischen 2012 (30.000 Tiere) und 2020 (60.000 Tiere) verdoppelt. Und an unseren Hochschulen steigt die Zahl der Tierversuche seit 2011[5] stetig an.

 

Problematische Punkte, die vom Parlament bei der Umsetzung korrigiert werden können

 

Gerade bei klinischen Studien wurden in den letzten Jahrzehnten die größten Fortschritte in der medizinischen Forschung erzielt. Aus Sicht des LSCV spricht nichts dagegen, dass sich Personen ohne finanziellen oder sonstigen Druck für die Teilnahme an Studien entscheiden.

Auch das Einfuhrverbot ist kritisch zu betrachten. In fast allen anderen Ländern der Welt sind Tierversuche für die Zulassung von Medikamenten vorgeschrieben. Diese Tierversuche sind ineffizient und bergen große Sicherheitsrisiken. So sterben allein in der EU jedes Jahr etwa 200’000 Menschen an den Nebenwirkungen von Medikamenten[6]. Es ist jedoch unrealistisch zu glauben, dass die Pharmakonzerne eine komplett getrennte Medikamentenentwicklung allein für den kleinen Schweizer Markt einrichten werden. Aus Sicht der Initiant*innen wäre es vielmehr besser, wenn kein neu entwickeltes Medizinprodukt in die Schweiz importiert würde, wenn es in anderen Ländern zugelassen wäre. Dies hätte zur Folge, dass Tausende von Menschen auf lebensrettende Behandlungen verzichten müssten, ohne dass sich dies auf die Anzahl der Tierversuche auswirken würde.

Die LSCV hält diese beiden Punkte für problematisch, da sie nicht zu einer Verringerung des Tierleids, sondern zu einer Verschlechterung in der medizinischen Versorgung führen würden. Der Text der Initiative ist jedoch so formuliert, dass das Parlament weitreichende Möglichkeiten hat, diese Punkte zu korrigieren. Und wie wir in der Vergangenheit beobachtet haben, nutzt das Parlament diesen Spielraum bei der Umsetzung von Initiativen. Aus diesem Grund ist aus Sicht des LSCV ein «Ja, aber» zur Initiative die beste Wahl.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die LSCV den Initiator*innen dankbar dafür ist, dass sie ein entscheidendes Thema in den Fokus gerückt haben und dass es in den letzten Jahrzehnten keine konkreten Fortschritte gegeben hat. Sie stimmt mit den abolitionistischen Werten der Initiative überein, teilt jedoch nicht alle Ziele und die Umsetzung des Textes.

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Contact : Benja Frei / Präsidium a.i. / b.frei@lscv.ch / +41(0)79 604 02 90

[1] https://www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20143683

[2]  https://boris.unibe.ch/84043/

https://boris.unibe.ch/94619/

https://boris.unibe.ch/94620/

https://brill.com/view/title/35072

https://bit.ly/EtudeFDA

[3]  https://www.tv-statistik.ch/fr/statistique-simples/

[4]  https://www.blv.admin.ch/blv/fr/home/tiere/tierversuche/bericht-tierversuchsstatistik.html

 

[5]  https://www.lscv.ch/toujours-plus-dexperimentation-animale-dans-nos-universites/

[6]  https://ethics.harvard.edu/blog/new-prescription-drugs-major-health-risk-few-offsetting-advantages

https://www.ema.europa.eu/en/pharmacovigilance-legislation