Welche Informationen entsprechen der Realität?

Alljährlich publiziert das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) Statistiken über Tierversuche die in Schweizer Labors durchgeführt werden. Grund ist nicht die Anstrengung für mehr Transparenz. Nein, es handelt sich um eine gesetzliche Pflicht. Im Artikel 36 des Tierschutzgesetzes (TSchG) heisst es: Das BLV veröffentlicht jährlich eine Statistik über sämtliche in der Schweiz durchgeführten Tierversuche. Die Statistik muss «die notwendigen Angaben enthalten, mit denen die Anwendung der Tierschutzgesetzgebung in den Bereichen Tierversuche (…) beurteilt werden kann» (Art. 147 Tierschutzverordnung TSchV).

Undurchsichtige Statistik und wenig Information

Welche Schlüsse kann man aus der Zahl der verwendeten Tiere ziehen? Ist es wichtig zu wissen, dass 2014 606’505 Tiere benutzt wurden und dass die Zahl höher oder niedriger ist als 2013? Ja, wenn man wüsste ob diese Tiere tatsächlich für medizinische Forschung oder Grundlagenforschung verwendet wurden. Man nehme den Kanton Bern als Beispiel wo 90’442 Tiere aufgelistet sind. Wurden wirklich so viele Tiere in Tierversuchen verwendet? In Wirklichkeit hat man an tausenden von Tieren, vor Allem an Geflügel und anderen Nutztieren, verschiedene Fütterungsmethoden bei der Aufzucht getestet. Solche Studien verursachen weder Manipulation der Tiere noch Schmerzen. Weshalb sind sie in der Statistik enthalten? Gemäss Art. 3 des TSchG handelt es sich um Tierversuche, aber entspricht es auch der Vorstellung welche die Öffentlichkeit von einem Tierversuch hat?
Die gleiche Frage stellt sich für die Studien an 3’286 Hunden und 788 Katzen im Jahr 2014. Tatsächlich sind viele dieser Tiere schon krank und haben Besitzer. Diese akzeptieren, dass an ihren Tieren neue Therapien getestet werden, in der Hoffnung, dass die Wirkung mehr erzielt als die früheren Behandlungen. Den Tieren werden keine zusätzlichen Schmerzen zugefügt. Aus welchem Grund sind sie in der Statistik enthalten, ohne speziellen Hinweis? Aus welchem Grund ist in der On-line Statistik des BLV nicht ersichtlich, welche Tiere für die medizinische Forschung und welche für die Grundlagenforschung verwendet wurden? Wie viele Tiere leiden für solche Studien?

Die Zahl der im Schweregrad 0 verwendeten Tiere könnte teilweise diese Frage beantworten. Das BLV schreibt: «Im Schweregrad 0 (SG0) sind Eingriffe und Handlungen eingeteilt, die den Tieren keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, sie nicht in Angst versetzen und ihr Allgemeinbefinden nicht beeinträchtigen, zum Beispiel Fütterungs- oder Haltungsversuche.» In Wirklichkeit ist ein Grossteil der tausenden im Schweregrad 0 klassierten Tiere Nager die mit CO2 vergast wurden, entweder für die Entnahme von Gewebe oder einfach weil sie für die Forschung nicht von Nutzen waren. Wie kann das BLV behaupten, ein vergastes Tier fühle weder Angst noch sei sein Allgemeinbefinden nicht «beeinträchtigt».

Falsche und unkontrollierte Informationen

Schlimmer als der Mangel an Transparenz oder der Unklarheiten, ist die Tatsache, dass das BLV falsche oder unkontrollierte Informationen publiziert. Das BLV gibt sich beschwichtigend und weist auf die strengen Kontrollen der Verwendung der Tiere für Tierversuche hin:

Versuchstierhaltungen sind streng kontrolliert
Versuchstierhaltungen unterliegen wie die Nutztierhaltungen der Tierschutzgesetzgebung. Bewilligungen sind erforderlich und jede bewilligte Versuchstierhaltung wird mindestens einmal jährlich vom kantonalen Veterinäramt kontrolliert.
Die Schweizer Tierschutzgesetzgebung (TSchG) ist weltweit eine der fortschrittlichsten. Die Gesuche werden von einer kantonalen Tierversuchskommission beurteilt, die aus Fachspezialisten und Vertretern von Tierschutzorganisationen besteht. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) hat die Oberaufsicht und ein Beschwerderecht gegen die kantonalen Bewilligungen (Art. 25 und 40, TSchG).

Tatsächlich haben mehrere Strafverfahren gegen kantonale Behörden und das BLV aufgezeigt, dass diesen Kommissionen, «zusammengesetzt aus Spezialisten und Vertretern von Tierschutzorganisationen» nicht systematisch die Anträge der Forscher zur Begutachtung vorgelegt wurden, obwohl es das Gesetz verlangt (Art. 18 TSchG und Art. 139 TSchV). Es kommt noch schlimmer. Das BLV, welches über die nötigen Rechtsmittel gegenüber kantonalen Bewilligungen verfügt, lehnte jegliche Verantwortung bezüglich seiner Passivität ab, mit der Begründung, es werde von den Kantonen nicht über die Gutachten der Kommissionen informiert. Ein Strafverfahren im Jahr 2010, wobei ein Waadtländer Forscher verurteilt wurde, hat sogar ans Tageslicht gebracht, dass das BLV selber dem Kanton Solothurn vorschlug, auf ein Gutachten der Kommission zu verzichten.

Ein weiterer, schlimmerer Fall hat die Ineffizienz der Aufsicht des BLV hervorgehoben. 2014 hat die LSCV bemerkt, dass der Kanton Neuenburg anscheinend keine Tierversuchskontrollen durchgeführt hatte. Dies auf jeden Fall in den Jahren 2012 und 2013, obwohl Art. 216 der TSchV vorschreibt, dass jährlich 1/5 der laufenden Experimente kontrolliert werden müssen. Zudem, und obwohl die Tierversuchskommission des Kanton Waadt per Mandat Kontrollen im Kanton Neuenburg durchführen muss, sträubt sich das Veterinäramt dagegen. Die LSCV schrieb am 8. Januar 2015 dem BLV:

Beim Einsehen der verschiedenen Tätigkeitsberichte der kantonalen Tierversuchsbehörden stellt man fest, dass viele Kantone die gesetzlichen Mindestanforderungen gemäss Art. 216 der TSchV missachten. Das betrifft die Kontrollen der Tierversuche wie auch der Versuchstierhaltungen. Wieso findet man in der Statistik keine Informationen über diesen Mangel?
2013 wurden erstmals die in Versuchstierhaltungen gehaltenen und zu Tierversuchszwecken importierten Tiere erfasst.
Nach unseren Informationen haben mehrere Kantone dem BLV keine ausreichenden Daten dazu geliefert. Stimmen diese Informationen? Falls ja, sind die Zahlen unvollständig. Warum ist das aus der Statistik nicht ersichtlich?

In der Pressemitteilung des BLV vom 26. Juni 2014 von Nathalie Rochat liest man: «Versuchstierhaltungen sind streng kontrolliert. Versuchstierhaltungen unterliegen wie die Nutztierhaltungen der Tierschutzgesetzgebung. Bewilligungen sind erforderlich und jede bewilligte Versuchstierhaltung wird mindestens einmal jährlich vom kantonalen Veterinäramt kontrolliert.»
Das BLV weiss, dass die Kantone, wie z.B. Neuenburg, diese Pflicht nicht erfüllen. Weshalb veröffentlicht das BLV Informationen wovon es weiss, dass sie nicht der Realität entsprechen?

Sind für das BLV die veröffentlichten Informationen über Tierversuchskontrollen und Versuchstierhaltungen nichts weiter als «unumgängliche Angaben für die Überprüfung der Umsetzung des Tierschutzgesetzes in Sachen Tierversuche»?

In seiner Antwort vom 20. März 2015 entledigt sich das BLV jeglicher Verantwortung indem es die Meinung vertritt, eine Erklärung warum 2013 unvollständige Zahlen über Versuchstierhaltungen veröffentlicht wurden, sei nicht angebracht.
Obwohl das BLV die «Oberaufsicht des Bundes» innehat, bekennt es, keine Kontrolle darüber zu haben, ob die Kantone das Gesetz in Sachen Tierversuche umsetzen. So? Wie steht es denn um seine Verantwortung wenn beteuert wird «Versuchstierhaltungen sind streng kontrolliert» obwohl das Amt es gar nicht weiss?

Die Statistik des BLV muss laut Gesetz die notwendigen Angaben enthalten, mit denen die Anwendung der Tierschutzgesetzgebung in den Bereichen Tierversuche beurteilt werden kann. Ist das BLV glaubwürdig wenn es Daten publiziert die schwer verständlich, teilweise erfunden, falsch oder nicht überprüft wurden?