Die Europäische Koalition zur Beendigung von Tierversuchen (ECEAE), der auch die LSCV angehört, hat erstmals einen weltweit einzigartigen Preis für die Entwicklung und Nutzung von tierfreien Antikörpern vergeben. Einer der Gewinner*innen ist der Genfer Forscher Pierre Cosson.

Pierre Cosson, seit wann arbeiten Sie mit Antikörpern?

Vor zehn Jahren wurde ich an einen stiftungsfinanzierten Lehrstuhl für 3R-Forschung (Replace, Reduce, Refine) berufen. Das Ziel des Lehrstuhls ist die Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen. Ich wollte ein Projekt erarbeiten, das eine tierfreie Ersatzmethode und gleichzeitig einen Mehrwert für die Wissenschaftsgemeinschaft bereitstellt. Da bot sich ein Projekt zu rekombinanten Antikörpern geradezu an.

Warum sind Antikörper aus dem Reagenzglas qualitativ besser als in Tieren produzierte Antikörper?

Sie liefern besser reproduzierbare Ergebnisse. Kein Tier gleicht exakt dem anderen, aber Reagenzgläser sind immer gleich. Forschungslabors brauchen ständig Antikörper, und qualitativ hochstehende Reagenzien sind für sie entscheidend. Das Projekt entstand auch aus meiner Frustration als Forscher: Ich wollte solche Technologien nutzen, hatte aber keinen Zugang dazu. Auch heute noch verfügen die meisten Labors in der Grundlagenforschung nicht über Reagenzien dieser Qualität.

Werden Alternativmethoden ausreichend gefördert?

Nein, es stehen nicht genügend Mittel für deren Entwicklung von Alternativen zur Verfügung. Die Antikörperproduktion in Tieren könnte mithilfe einer nationalen Strategie ohne übermässigen finanziellen Aufwand in fünf bis zehn Jahren weitgehend ersetzt werden. Das wäre auch eine wichtiger Impuls für den Rest der Welt. Ich verstehe nicht, warum das alles nicht schneller geht. Die Technologie ist da, aber die Umsetzung dauert ewig. Das macht mich ungeduldig. In Europa werden immer noch etwa eine Million Tiere pro Jahr für die Produktion von Antikörpern verwendet.

Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit?

Mittlerweile arbeiten mehrere Forschungsteams im Bereich der rekombinanten Antikörper. Unser Ziel ist es, die bereits verfügbare Technologie der Wissenschaftsgemeinschaft mittels einer Datenbank, einer Fachzeitschrift und einer Produktionsstruktur zugänglich zu machen. Alle Instrumente sind bereits da. Jetzt gilt es, diese bisher nur einem kleinen Kreis vertrauten Arbeiten bekannt zu machen.

Ihr Projekt hat kürzlich einen Preis gewonnen.

Wir sind sehr stolz, dass das Projekt, das wir vor zehn Jahren lanciert haben, nun ausgezeichnet wurde. Die Europäische Koalition zur Beendigung von Tierversuchen (ECEAE) hat diesen Preis ausgeschrieben, um die Entwicklung von tierfreien Antikörpern in Europa zu fördern. Dass wir zu den beiden Gewinnerteams gehören, ist grossartig.

Stellen Sie bei jüngeren Forschenden eine höhere Sensibilität für dieses Thema fest?

Die Jungen sind flexibler und noch nicht auf einen Forschungsbereich festgelegt. Ich arbeite schon lange im Bereich der Zell- und Molekularbiologie. Wenn ich jetzt plötzlich umsatteln müsste, zum Beispiel auf die Neurologie, wäre das zu kompliziert. Junge Forschende sind sensibler für Fragen, die man sich noch gar nicht stellte, als ich in ihrem Alter war. Vegetarismus und Veganismus sind heute weit verbreitet. Das zeigt sich auch in der Forschung. Die Sensibilität gegenüber den Tieren ist viel präsenter. Da gibt es einen Generationengraben.

Trägt die Tierrechtsbewegung dazu bei, dass sich in der Forschung etwas verändert?

Die Tierrechtsorganisationen spielen in zweierlei Hinsicht eine wichtige Rolle. Zum einen rufen sie uns immer wieder in Erinnerung, dass dieses Thema einen beachtlichen Teil der Bevölkerung bewegt, und bringen diese Sensibilität in die öffentliche Debatte ein. Zum andern gehen einige Vereine noch einen – für sie nicht leichten – Schritt weiter: Sie protestieren nicht nur, sie fördern die Entwicklung von Alternativen auch aktiv mit finanziellen Mitteln. In unserem Fall war das sehr hilfreich: Unser Projekt wurde in der Anfangsphase von der LSCV unterstützt.

Das BLV vermeldet jedes Jahr einen Rückgang der Versuchstierzahlen. Sie stellen etwas anderes fest.

Gesamthaft ist die Zahl der verwendeten Versuchstiere in der Schweiz in den letzten 20 Jahren konstant geblieben. Dahinter verbergen sich zwei gegenläufige Entwicklungen: In der Industrie geht die Zahl zurück, weil der Privatsektor neue Methoden entwickelt hat, die insbesondere Toxizitätstests ersetzen. Gleichzeitig nimmt die Versuchstierzahl an den Hochschulen zu. In Zukunft müssen vorrangig in der akademischen Forschung Alternativen entwickelt und vor allem auch umgesetzt werden.